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Unsitten. “Bang With Friends” in der 3sat Kulturzeit.

For real? Haben da heute Abend Ernst A. Grandits und Ijoma Mangold von der Zeit in der 3sat Kulturzeit ernsthaft über die literarischen und gesellschaftlichen Implikationen der noch recht jungen facebook-App Bang With Friends diskutiert? (Update 15/02/2013 : Video des Gesprächs online)

Bang With Friends ist eine fb-Plattform-Applikation, die es erlaubt, einseitig facebook-Freunde zu kennzeichnen, mit denen man gerne einmal, ahem, bangen würde, wovon die betreffende Freundin oder der betreffende Freund aber erst erfährt, wenn das der App jeweils einseitig mitgeteilte Interesse tatsächlich beidseitig sein sollte.

Letzte Woche schrieb Ijoma Mangold in der Zeit unter der Rubrik “Sitten” ganz offenbar beeindruckt und fasziniert von den Möglichkeiten, die sich ihm nun offenbarten, daß Bang With Friends einen Paradigmenwechsel in der sexuellen Kommunikation darstelle, weil nunmehr, wenn auch auf den Kreis der facebook-Freunde beschränkt, und Trivialitäten wie Datenschutzbedenken mal ausgeklammert, Körbe der der Vergangenheit angehörten. Man fragt sich unweigerlich, was passiert wäre, wenn  Rainer Brüderle und Laura Himmelreich auf facebook befreundet gewesen wären und beide… nun ja.  Aber für Mangold ist diese Vorstellung keine feministische Konsensutopie, sondern das Ende des Abendlandes: “Eine Welt ohne Widerstände ist leer und sinnlos. Das Köstliche am Leben ist seine Unkalkulierbarkeit.”

Aha. Das ist abstrakt zweifellos richtig, aber, wie Herr Mangold vermutlich demnächst beim ersten mit seinem Zitat vollzogenen Korb erfahren dürfte, zum einen lebensfremd und zum zweiten eine geradezu absurde Einschätzung der sozialen Implikationen solcher technischen Spielereien. Bang With Friends ist sicher einer lustige Applikation, aber derartige Spekulationen über ihre nicht absehbaren, sittengefährdenden Effekte sprechen eher für eine sich jetzt langsam manifestierende strukturelle Überbewertung von sozialen Medien im deutschen Feuilleton als Folge der Erkenntnis, daß die im kulturellen Establishment zuvor vorherrschende abwertende Haltung mit der wahrnehmbaren Realität nichts mehr gemein hat.

Aber mal Klartext. Das Ende von Ablehnungen beim Anmachen durch die technisch von Bang with Friends  aufgezeigte Kongruenz im Begehren? Das ist eine vollkommen absurde Behauptung, weil Interaktionen in sozialen Medien genau wie alle anderen menschlichen Interaktionen in einem sozialen Kontext stattfinden, eben daher ja auch der Gattungsbegriff. Das gilt natürlich auch für Bang With Friends: Im wahren Leben dürfte die App nicht das Ende peinlicher Körbe bedeuten, sondern zu einer ungeahnten Häufung führen.

Man muß sich zwar vor Genderstereotypen hüten, aber es erscheint mir nicht a priori unplausibel, davon auszugehen, daß die – heterosexuellen – Interaktionen auf dieser Plattform sich nicht wirklich anders entwickeln werden als das auf anderen Online-Dating-Plattformen der Fall ist: Stichwort adverse Selektion. Männer werden vermutlich munter drauf los klicken und Frauen werden schon deswegen die Bedeutung von vermeintlichem individuellem Interesse weniger hoch bewerten. Was von solchen Interaktionen zumeist bleiben dürfte, sind gestörte Beziehungen unter Bekannten, die nicht wissen, was von dem vermeintlichen Bekenntnis nun wirklich zu halten ist und wie sie darauf reagieren sollen.

Denn natürlich werden sich die wenigsten Beteiligten an die impliziten Regeln halten, und nur diejenigen Freundinnen und Freunde anklicken, von denen sie sich – innerhalb ihres sozialen Kontexts – eine positive Antwort erhoffen.  Denn die Motive für die Nutzung eines solchen Dienstes sind schließlich vielfältig, von “Scherz” bis zu “nur mal ausprobieren.”  Ein Klick in Bang With Friends ist keine eindeutige Kommunikation, vermutete Absichten sind absolut plausibly deniable.

Eine solche Anwendung ist schlicht viel zu leicht installiert, um aus einem Klick eine bestimmte Motivation, ein bestimmtes Interesse abzuleiten, um aus der Email von Bang With Friends mehr zu herauslesen zu können als den potentiellen Beginn einer privaten Konversation, die vielleicht einen Möglichkeitenraum eröffnet, aber gleichzeitig auch mit nicht weniger Fragezeichen beginnen und mit nicht weniger Peinlichkeiten behaftet sein dürfte als eine entsprechende Diskussion während einer Autofahrt.

In einer der bekanntesten Autofahrten der Kinogeschichte, der am Beginn von “When Harry met Sally“,  kam es daher zu folgendem Dialog –

Harry: What? Can’t a man say a woman is attractive without it being a comeon? All right, all right. Let’s just say, just for the sake of argument, that it was a come-on. What do you want me to do about it? I take it back, OK? I take it back.
Sally: You can’t take it back.
Harry: Why not?
Sally: Because it’s already out there.
Harry: Oh jeez. What are we supposed to do? Call the cops? It’s already out there!

You can’t take it back because it’s out there!

Wenn etwas erst mal gesagt ist, dann kann man es nicht einfach wieder einpacken. Und das bedeutet, daß jede weitere Kommunikation in dieser Beziehung mit Wissen um das erfolgt, was nun mal schon gesagt wurde. Steven Pinker hat die Logik menschlicher Sprachmustern genauer analysiert (Video –
RSA Animate – Language as a Window into Human Nature) und dabei unter anderem die Beobachtung gemacht, daß Menschen glauben, mit indirekter Sprache beziehungsverändernde Vorschläge machen zu können – also zum Beispiel einer Bekannten ein sexuelles Angebot zu unterbreiten – die sie mit direkter Sprache nicht machen könnten, eben weil dann die Rückzugsmöglichkeit der plausiblen Verleugnung der eigentlichen Absicht nicht mehr gegeben wäre, die es bei einer potentiellen Ablehnung den Beteiligten erlaubt, ihr Gesicht zu wahren und die Beziehung auf der vorherigen Ebene weiter zu führen.

Im Lichte dieser Erkenntnis stellt eine App wie Bang With Friends also lediglich eine weitere Möglichkeit zur Verfügung, mehr oder weniger implizit bzw. explizit zu kommunizieren, um dann eine Entscheidung darüber zu treffen, was genau nach den beiden Klicks gesagt wurde und was nicht.

Mit anderen Worten, im Gegensatz zu Ijoma Mangolds Befürchtung wird Bang With Friends menschlicher (sexueller) Kommunikation nicht die seiner Meinung nach sinnstiftende Unsicherheit nehmen. Zumindest bevor sich soziale Praktiken zum Umgang mit dieser Art unklarer Kommunikation eingestellt haben, dürfte die sich einstellende zunehmende kommunikative Unsicherheit das Leben für ihn zunächst eher besonders köstlich machen.

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