Taken by Apollo 8 crewmember Bill Anders on December 24, 1968, at mission time 075:49:07 [1] (16:40 UTC), source: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:NASA-Apollo8-Dec24-Earthrise.jpg
compulsory reading, dating and gender, deutsche Politik, German Politics, philosophy, Political Theory, politics, Politik, post-modernism, sex

Neue Männer im Mond.

Leider schafft es Justus Benders in der FAZ erschienene Artikel zum Thema Männerbild der AfD nicht, zu den fundamentalen Fragen vorzustoßen, die sich in der Thematik verbergen.

Vor einigen Jahren schrieb der Rechtsintellektuelle Götz Kubitschek einen kurzen Text namens “Provokation”, in dem er auch auf das Thema des hier verlinkten FAZ-Artikels Bezug nahm, die Frage von Männlichkeit, bzw. ihre wohl dekadenzgeschwächte Seinskraft. Dort heißt es unter anderem –

“[S]elbst die jungen Hartz-IV Empfänger schimpfen sitzend, bei Laune gehalten durch ein warmes Wohnzimmer, Nachschub an Fraß und Flüssigem, eine Spielkonsole, Fernseher, DVD-Gerät, und der Möglichkeit, dank der Pille folgenlos die Restenergie über der Freundin zu entladen”


Etwa zur gleichen Zeit schrieb der Philosoph Michael Groneberg in einem Aufsatz mit dem Titel “Bullenmänner – Zur Biologisierung männlichen Begehrens” (Groneberg, M., Hrsg. (2006), Der Mann als sexuelles Wesen: zur Normierung männlicher Erotik, Paulusverlag, Freiburg Schweiz, pp 5-36), ebenfalls über Männlichkeit und ihre zivilisatorische Zwangslage –

“Das «Droben», der Himmel wird zum Weltall, der Geist säkular und Gottes Tod wird verkündet. Mit zunehmender Gleichstellung erschließt sich anderseits auch der Mann den Bereich des Häuslichen und die Frau, mobil werdend, das «Draussen» und das «Droben», z.B. in feministischer Theologie, auch wenn die katholische Kirche weitgehend an den antiken Diskriminierungen festhält.

Die allmähliche Auflösung der topologischen Differenz, so die letzte These, ist Effekt eines Umschlags der räumlichen Situation der Menschheit, real und im Bewusstsein: Die Menschheit hat ihre räumlichen Grenzen erreicht.

Es braucht keine Conquistadoren mehr, die aussegeln oder Cowboy- Helden, die nach Westen reiten, auf der Suche nach neuen Schätzen oder einer besseren Welt. Der Pazifik war Endstation für des westlichen Menschen Sehnsucht und Expansionsdrang und er baute sich Hollywood genau an diesem Ort. …

Die Menschheit hat insofern auf sich reflektiert, doch real, nicht nur im Geiste. Sie ist auf sich zurückgeworfen durch die Grenzen der Erde, ohne Ventil. Es gibt kein erreichbares Draussen mehr. Gesellschaften funktionieren womöglich nie mehr wie bisher, weil es keine Ausflucht mehr gibt.

Die Limitation und Erschlossenheit der Welt in Realität und Geist sowie die Säkularisierung des Geistes wirkt auf die Geschlechtertopologie zurück. Ohne Transzendenz, ohne ein Draussen, in das das phallische Alphatier erobernd vorstossen könnte, ist alles zum Drinnen geworden, zu ihrem Reich: Die Erde ist nicht mehr zu unterwerfen, sie ist unsere Behausung und als solche Domäne des häuslichen Beta.

Die Verteilung der Aufgaben, die dem Mann die schizoide Rolle zudachte, der kontrollierte Raging Bull zu sein, wurde obsolet. Immanenz des Geistes und Geschlossenheit der Welt erklären nicht nur die wachsende Macht der Frauen, sondern auch das Ende der vektoriellen Männlichkeit.

Der Mann wird sich langfristig in eine Existenz einfinden müssen, die nicht mehr auf der Trennung des Drinnen und des Draussen beruht, wo Gewalt und Aggression von ihm erwartet werden, die er manchmal austoben darf, aber im Prinzip beherrschen können muss, vor allem zu Hause.

Das Kastrationsparadigma wirkt zwar noch fort, auch aufgrund der positiven Besetzung der Wildheit, doch erweist es sich wie das topologische Geschlechtermodell als Kulturprodukt, das unzeitgemäss und daher besser der Erinnerung zu übergeben ist.”


Implizit ist beiden Ansätzen die kulturelle Konstruktion von Männlichkeit, auch wenn beide das explizit verneinen würden. Und da steckt auch die Krux der Argumentation: die eine Argumentation fordert die Schaffung von realen und metaphorischen Grenzen, die dann wieder überschritten werden können. Die dem Mann sein Sein zurückgeben können. Die andere fordert eine Veränderung des Seins, die sich der angenommenen neuen Realität anpasst.

Nur sind beide so ignorant und letztlich sexistisch in ihrer Argumentation, daß sie die wesentliche Unbekannte in ihren Argumenten nicht mal sehen: die Frage, welches männliche Sein bestehen oder sich entwickeln wird, ist doch nicht nur eine Frage schwerer männlicher Gedanken über das Droben und Draußen. Sondern auch bestimmt davon, welche Männlichkeit Frauen als attraktiv empfinden und sexuell und emotional “belohnen” werden.

Und diese Frage scheint mir nur schwer eindeutig zu beantworten – auch wenn die Kulturgeschichte – oder “das Patriarchat” selbst hier durchaus als ein nicht unbedeutendes Argument gelten könnte.

Was aber – spätestens nach der Wahl Trumps – klar ist: die Frage nach Männlichkeit, die der intellektuelle “Mainstream” in den letzten Jahrzehnten als albern abgetan hat, ist jetzt notwendig zu einem Kernbestandteil der Diskussion geworden. Und ein großer Teil dieser Diskussion um die “neue Rechte” ist eine Gender-Debatte, auch wenn sich nicht wenige, die sie führen, mit Händen und Füßen gegen diese Bezeichnung wehren würden.

[Crossposted auf facebook. / Bildquelle: NASA / Apollo 8 / Bill Anders on December 24, 1968 ]

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compulsory reading, media

Marcel Reich-Ranicki is pretty cool, indeed.

There was a time, when one of Germany’s most interesting tv shows was one about books. The show was called “The Literary Quartet” (“Das literarische Quartett”) and its impressario was Marcel Reich-Ranicki, allegedly the most important contemporary critic of German literature (wikipedia entry in English).

Yesterday, he attended the the German television awards (“Deutscher Fernsehpreis”), where he was supposed to be honored for his livetime achievements. But then, on stage, he refused to accept the award because of (my translation) all the bollocks we have seen here today.”

The apparently shocked presenter, Thomas Gottschalk, offered Reich-Ranicki a programme in which he could talk to the heads of German broadcasters about the quality of their programmes, which seemed to placate the laureate and apparently led him to later accept the price out of politeness.

Stefan Niggemeier, a media journalist, has more about this (in German) and notices that Reich-Ranicki probably had a point that goes beyond the quality of television programmes – MRR will Fernsehquatschpreis nicht.

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"Kachelmann-Urteil-Alice-Schwarzer1" by Itu - Own work. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kachelmann-Urteil-Alice-Schwarzer1.jpg#mediaviewer/File:Kachelmann-Urteil-Alice-Schwarzer1.jpg
battleofthesexes, compulsory reading

Haarig nicht nur unter den Achseln. Alice Schwarzer diskutiert nicht gerne.

Viel böses Blut floß aufgrund von Alice Schwarzers Entscheidung, für die Bild-Zeitung Werbung zu machen – mit dem Slogan “Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht.” Nachdem Alice Schwarzer ja ohnehin glaubt, “Die Antwort” zu kennen, war es für den Springer Verlag sicher ein Leichtes, ihr mit dem Slogan so sehr zu schmeicheln, daß ihr schwarz vor Augen wurde.

Daß jemand, der unerschütterlich glaubt, die Wahrheit zu kennen, lieber verkündet denn diskutiert, ist zwar theoretisch durchaus einleuchtend, aber praktisch mitunter eher verstörend – wie Stefan Niggemeier angesichts des von kritischen Kommentaren gereinigten Gästebuches auf Alice Schwarzers Webseite erfahren mußte. Neu ist daran allerdings gar nichts. Nutzte sie Diskussion und Provokation vor langer Zeit gerne und so oft wie möglich, scheint Alice Schwarzers Unwille sich auf kritische Diskussionen einzulassen in dem Maße zugenommen zu haben, in dem eine Vielzahl ihrer Ansichten zur bundesrepublikanischen Mehrheitsposition wurden.

Zum Geburtstag von Alice Schwarzers Zeitschrift “Emma” habe ich Anfang des Jahres einen bis dahin unveröffentlichten Bericht über meine Begegnung mit der Frontfrau des deutschen Feminismus veröffentlicht. Es ist ein Bericht über eine Begegnung, die mir schon vor einiger Zeit – Anfang 2004 – klar machte, was Stefan Niggemeier offenbar erst angesichts der Reinigung der Schwarzerschen Webseite aufgefallen ist: Alice Schwarzer diskutiert nicht gerne!

Aber fangen wir am Anfang an…

Die von einer Künstlergruppe iranischer Exilantinnen organisierte Diskussion im Mainzer Landesmuseum stand unter dem Titel “Kopftuch als System – machen Haare verrückt”. Dank der Zusage von Alice Schwarzer zog die kaum beworbene Veranstaltung ein überaus buntes bundesdeutsches Publikum an, bestehend aus mehr oder weniger aggressiven iranischen Exilanten, fanatischen und weniger fanatischen Trägerinnen verschiedenster Kopftuchvarianten, jeder Menge “geifernder Emmas” (herzerwärmend, an mich gerichtet: “Was machen Sie eigentlich als einzelner Mann hier?”, “Für Männer gibt’s hier nichts!”), konservativen und konservativeren Leitkulturpropagandisten auf Koalitionssuche, einigen liberalen Bildungsbürgern, und einer Handvoll Journalisten und Kriegsberichterstattern wie mir.

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compulsory reading, Iraq, Political Theory

Patches of War.

I don’t know how many black sheep there are in the US army in Iraq today. But I suppose there are a lot who never imagined their fur would even feature a single black patch, because, probably, given normal circumstances, they’d likely have remained white all their lives.

Stress, anxiety, guys stewing in their own testosterone for extended periods of time. That’s one of the, sometimes intended, but always terrible consequences of war: it hardly ever creates heroes and almost always creates thugs.

It’s not the war per se, but the violence it inevitably brings wit it – think of the Stanford Prison Experiment, remember Liran Ron Furer’s “Checkpoint Syndrome” for just two chilling accounts of the effects violence on “white sheep”. And if some sheep are already black in disguise, war certainly attracts them, as it, at least partly, legalizes behaviour that is considered criminal in peacetime.

But there are limits, and the above argument can only serve as a reminder to those in power, that it’s not just Patriot Games they play, never as an excuse for the murder of an Iraqi family and the gang-rape of their 14year old daughter – BBC NEWS | Americas | US soldier admits murdering girl.

A couple of years ago, someone left some sick spam comments about amateur pornography featuring raped Iraqi women (almostadiary.de: “The most disgusting porn spam ever“). In light of this story I can’t help but wonder if the offer wasn’t just the result of someone’s unfortunate experiments in role playing with a video camera.

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compulsory reading, German Politics, Political Theory

Das Ende vom Links.

Es war einmal eine Zeit, da war es “cool”, “links” zu sein, zumindest, wie Bertrand Russel uns lehrt, solange man jung noch war. Damals hatte “links” auch noch eine geringe inhaltliche Komponente, die über die a priori-Annahme hinausging, das alle wirtschaftlich und gesellschaftlich Schwachen allen wirtschaftlich und gesellschaftlich Starken moralisch überlegen sind.

Auch wenn schon die Absurdität einer solchen Annahme für jedes politische Engagement, das ja zumeist mit der relativen Veränderung wirtschaftlicher und sozialer Rangordnungen einhergeht, die empirische Bestätigung durch jahrzehntelange sozialistische Feldversuche eigentlich nicht benötigte.

Insofern hat es sicher auch sein Gutes, daß “links sein” für Gregor Gysi, einem der Fraktionsvorsitzenden der “LINKEN” im deutschen Bundestag, bedeutet, “gegen Armut zu sein”, wie er kürzlich in einer Talkrunde zum Thema “Mindestlohn” erwähnte. Wow. Das ist tiefgründig.

Angesichts der Inhaltsleere solcher Aussagen möglicher Vordenker sollte es nicht überraschen, daß sich Linkssein für Jugendliche heute vor allem in einer “Ich bin dagegen! Worum gehts?”-Haltung erschöpft, manchmal verbunden mit Aktionen, die ein diffuses Unwohlsein mit einem ebenso diffusen moralischen Bewußtsein verknüpfen. Zumeist argumentationslos und faktenleer.

Ein Beispiel ist die Aktion “I don’t like G8”, über die ich über ein Banner auf einem anderen Blog gestolpert bin – eine Revolution dürfte dabei allerdings nicht herauskommen.

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compulsory reading, oddly enough, USA

Pornopixel absurd.

Angesichts der Ubiquität von Nacktheit in westlichen Gesellschaften finde ich es überaus erstaunlich, welche Kontroversen Pornographie immer noch hervorrufen kann, und wie sehr man sie immer noch zur politischen und sonstigen Provokation heranziehen kann.

Gestern informierte die Süddeutsche Zeitung darüber, daß die Jungen Liberalen Niedersachsen in Person ihres Vorsitzenden Christopher Vorwerk ihr Organisationsestablishment und die Parteiobrigkeit mit einer politisch unbequemen Version von “make love not war” konfrontierten. Ein Unding sei es nämlich, daß

„[d]er Gesetzgeber den Geschlechtsakt zwischen 16-Jährigen [legitimiere, es ihnen aber] bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres [untersage,] dabei zuzusehen.”

Auch sollten Fernsehsender ab 24 Uhr Pornografie ausstrahlen dürfen. Denn

„[e]s geht darum, dass in den Medien mit zweierlei Maß gemessen wird. Gewalt und Leichen, aber kein Akt der Liebe.“

Auch wenn diese Forderung, den Jugendschutz zu lockern, politisch trotz des offensichtlichen Koalitionsangebots an das Privatfernsehen zur Zeit zweifelsohne chancenlos ist, rechtssystematisch ist sie meines Erachtens nicht a priori von der Hand zu weisen, wenngleich ich die Behauptung des jungliberalen Vorstands Florian Bernschneider –

„Jugendliche sind mit 16 Jahren alt genug, um selbst zu entscheiden, was sie ansehen“ –

für eher abenteuerlich halte. Allerdings sind auch die meisten Erwachsenen damit deutlich überfordert, so daß das Argument sowohl für die eine als auch für die andere Seite unbrauchbar ist. Ein Schelm übrigens, wer den beiden im Artikel zitierten Jungen Liberalen unterstellt, sie verfolgten ein spezifisches Eigeninteresse: Herr Vorwerck ist laut der Webseite der JuLis Niedersachsen 23 Jahre alt und somit sicher mehr Li als Ju, und auch Herr Bernschneider darf die Früchte der Volljährigkeit bereits seit einem Jahr genießen.

Ganz andere, deutlich gravierende Probleme mit Pornographie hat übrigens eine Lehrerin aus Norwich in Connecticut, wie Spiegel Online unter dem literarisch wertvollen Titel “Porno-Pop-Ups” berichtet:

Die Aushilfslehrerin in einer Mittelschule von Norwich (US-Bundesstaat Conneticut) habe die Elf- und Zwölfjährigen absichtlich oder – vielleicht – fahrlässig mit Pornographie statt mit Englischunterricht behelligt, so der Vorwurf von Behörden. Jetzt hat der Norwich Superior Court die Lehrerin für schuldig befunden – weil sie den Kindern Pornographie gezeigt habe und diese somit seelischen Schaden erlitten haben könnten. Am 2. März soll über das Strafmaß entschieden werden – Amero drohen bis zu 40 Jahre Haft.

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compulsory reading

Handy-Kunde

Zu meiner Zeit, zu meiner Zeit
Bestand noch Recht und Billigkeit.
Da wurden auch aus Kindern Leute,
Aus tugendhaften Mädchen Bräute;
Doch alles mit Bescheidenheit.
O gute Zeit, o gute Zeit!
Es ward kein Jüngling zum Verräter,
Und unsre Jungfern freiten später,
Sie reizten nicht der Mütter Neid.
O gute, Zeit, o gute Zeit!

Da das “Mozartjahr” 2006 nun ja glücklicherweise seit einem Monat vorrüber ist und die Gesellschaft für deutsche Sprache erfreulicherweise auch nicht “Köchelverzeichnis” zum Wort des Jahres gekürt hat, ist eine kleine Mozartreferenz wohl gestattet. Schließlich hat er die obigen Worte der Alten auch nur vertont, wenn Sie ihm wohl auch allzu heftig aus dem Herzen gesprochen haben dürften: Die Alte, das schönste mir bekannte Gedicht über die Ewigkeit des Generationenkonflikts stammt aus der Feder von Friedrich von Hagedorn. An der Wahrheit seiner Erkenntnis dürften wohl auch im Jahre 2007 keine Zweifel aufkommen, wenn sich das Kampfgeschehen auch zunehmend digitalisiert.

Der Lehrer als Undercover-Agent seiner Generation

War der Konfliktstoff zu meiner Zeit noch das Ausmaß von Sexualerziehung im Biologieunterricht einer katholischen Schule, so ist es heute das verflixte Handy, Internet – also jugendliche Kommunikationsnetzwerke, die die Alten nicht verstehen können und denen sie gegenwärtig ihre Ängste vor Kontrollverlust verdanken, auch wenn eher das Gegenteil der Fall sein dürfte: Danah Boyd von der School of Information (früher SIMS) in Berkeley hielt auf der LeWeb3 Konferenz in Paris einen Vortrag über ein ähnlich gelagertes Problem: Die Konsequenzen der elterlichen (oder behördlichen) Nachvollziehbarkeit von jugendlicher Peer-Gruppen Kommunikation über Seiten wie myspace.com, die von allen einsehbar sind.

Insofern stellt sich mir die Frage, ob sich hinter der Aufforderung der Medienwissenschaftlerin Iren Schulz, die laut heise online mit einer Art Handy-Kunde im Unterricht die Medienkompetenz von Schülern fördern möchte, nicht eher der Versuch verbirgt, die Kontrollkompetenz der Eltern und Erzieher mit Unterrichtsmitteln zu verbessern.

Aber gerade weil die Untersuchung von jugendlichen Netzwerken für den Erkenntnisfortschritt im Bereich neuer Kommunikationstechnologien von enormer Bedeutung ist (siehe auch den vorigen Beitrag) sollte man meines Erachtens trotz aller Ängste der Elterngeneration um den Bestand der Zivilisation angesichts von Gewalt- und Porno auf dem Minibildschirm vorsichtig mit spezifischen Regulationen sein. Natürlich lösen, da hat Frau Schulz ohne Zweifel Recht, auch

“[s]chlichte Handy-Verbote in der Schule wie in Bayern … das Problem nicht.”

Aber das gilt wohl auch für eine “Handy-Kunde”, bei der die Schüler ihrem Lehrer vermutlich zunächst mal erklären werden, warum sein Gerät eigentlich seit 4 Jahren auf den Sondermüll gehört. Auf die Spezifizität von technischen Veränderungen und die sich aus ihnen ergebenden gesellschaftlichen Herausforderungen läßt sich nicht sinnvoll mit spezifischen Maßnahmen reagieren. Das Ziel der Bildungspolitik in diesem Zusammenhang sollte einzig die offenbar verbesserungswürdige Vermittlung allgemeiner Prinzipien sein, die die Entscheidungen von Jugendlichen auch in neuen technologischen Umfeldern leiten können: Kant gilt auch bei eingeschaltetem Handy.

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compulsory reading, photoblogging

Bloglese­nachlese

Die mangelnde Einbindung meines Blogs in der deutschen (trotz der so vielversprechenden Domain…) und – viel wichtiger – regionalen Blogosphäre wurde mir am letzten Freitag mal wieder dramatisch vor Augen geführt. Wenn ich nicht eher zufällig noch mal auf Gerrit van Aakens immer lesenswertem Designblog Praegnanz.de vorbeigeschaut hätte – die erste Mainzer Bloglesung wäre an mir vorbeigegangen, genau so wie die Entwicklung der regionalen Blogosphäre offenbar an mir vorbei gegangen ist.

Welche regionalen Blogs kannte ich denn vor Freitag Abend? Die 6th international von Mrs Tilton, meiner Mitautorin bei A Fistful Of Euros, Gerrits praegnanz.de (Tip: er ist beim May 1st reboot dabei, ich werde das bei afoe nicht mehr schaffen!), und an Bebals Blog erinnnere ich mich entfernt aus den Zeiten als Gentry Lane noch Freud’s Fave war. Die Chancen, bei der ersten Mainzer Blognacht eine enorme Bereicherung meines blogkulturellen Horizonts zu erfahren, standen also nicht schlecht.

Die Lesenden waren:

Ynnette – Die ewige Baustelle im Kopf
Der Haken – on Creatives, Economics, Geekystuff, Politics, WhatEver …
Gerrit van Aaken
The Saint – via est finis
Bandini – Bandinis Tage
Don Dahlmann – irgendwas ist ja immer

Es ist wohl eine interpretationsbedürftige kulturelle Aussage daß sich Bloglesungen als Form des Bloggertreffens in Deutschland besonderer Bedeutung erfreuen, denn hier bedingen sich Form und Inhalt in besonderer Weise, und damit bietet sich auch denjenigen Kritikern eine Angriffsfläche, die – nicht völlig grundlos – eine gewisse Inkompatibilität zwischen Medium und Vortragsform zu erkennen glauben. Aber manchmal muß man inhärente konzeptionelle Schwächen einfach zur Seite schieben, und sich offen auf das einlassen, was da kommen würde.

So gesehen war dann auch die Anwesenheit des Wirtschaftsdezernenten der Stadt Mainz, Franz Ringhofer, bei der vom Webportal Doppelklicker.de des Mainzer IT-Dienstleisters Schwarzer.de organisierten, kulturellen Veranstaltung angemessen. Er ist vermutlich der erste Politiker ist, der statt salbender Worte zur Begrüßung seinen Landtagswahlabend in Form eines – imaginären – Blogbeitrags vortrug, mit dem er die Eigenheiten von Blogs als literarischem Genre – inklusive aller Schwächen – wohl intuitiv korrekt erfaßt hat, auch wenn wohl jedem klar war daß nicht alle Beiträge an die sprachliche Qualität einer Katharina Borchert alias Lyssa heranreichen würden.

Dennoch, insgesamt fand ich das sprachliche Niveau durchaus ansprechend, auf keinen Fall lag es unter dem, was man bei so manch “professioneller” Dichterlesung zu hören bekommt, für die die Texte nicht selten durchredigiert werden.

Das wiederum ist ein interessanter Hinweis auf die – zumindest im immer noch embryonalen Zustand der deutschen Blogosphäre – funktionierenden Selbstauswahlmechanismen des Mediums als Literaturform: Tagebuchform hin, best-of-my-blogposts-Auswahl her, letztlich wurden zumeist keine dear-diary-Autobiographien vorgetragen, die aufgrund von Form und Inhalt nur für den Autor und seine direkte Umgebung interessant sein können.

Vielleicht wäre es für die Entwicklung von Bloglesungen aber mal interessant, das was Gerrit van Aaken als das wesentliche Problem seiner Lesung sah – die tendenzielle Nichtlesbarkeit von nicht erzählenden Blogbeiträgen – als Chance zur begreifen, die Grenzen der Kunstform zu sprengen. Vielleicht sollte man wirklich mal Beiträge aus Linkhub-blogs lesen, oder solche, die sich mit der Frage der standardkonformen Ausbügelung von Box-Model-Fehlern im Internet Explorer 5.5 auseinandersetzen.

Bei jedem Kunstwerk liegt die Schönheit natürlich im Auge des Betrachters, und so war es auch an diesem Abend – wie nicht zuletzt der Schlußsatz von The Saints Nachbesprechung belegt, der eine ganz und gar nicht uninteressante Frage stellt:

“Apropos Podcast, wenn mir irgendeiner mal sagen kann wer die Kleine war, die mit dem Podcast-Mikro rumgesprungen ist, her damit *pfeif*”

PS – Einen kurzen Podcast mit Stimmen aus dem Publikum und drei Kurzinterviews mit Lesenden gibt es bei La Ultima Ola. Mehr Berichterstattung soll in den kommenden Tagen bei www.doppelklicker.de stattfinden.

PPS – Kommentare werden zwar grundsätzlich akzeptiert, aber aufgrund eines Perl-Versionskonflikts bei meinem Noch-Provider ist das System im Moment leider etwas instabil.

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compulsory reading, US Politics

Israel, the AIPAC, and US foreign policy

In today’s IHT, Daniel Levy, who was an advisor to former Israeli Prime Minister Ehud Barak, discusses a recent paper entitled “The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy” by John J. Mearsheimer (University of Chicago) and Stephen M. Walt (John F. Kennedy School of Government at Harvard University). The context Levy provides is interesting – his emphasis is on a growing rift between an increasingly inward looking Israel and an continously expansive AIPAC (America Israel Public Affairs Committee) – Levy’s article is entitled “America: So pro-Israel that it hurts“.

If I remember correctly, AIPAC’s influence on American foreign policy is as mythical as it has been cyclical. As Levy notes, the recently increasing debate about the AIPAC’s influence on and the assumed natural alignement of Israeli and US interests in the Middle East could, in light of a growing rift between Israeli policy and the AIPAC, possible precede realignments in American foreign policy. If he’s right, the honest broker might be looking for a come-back. He would certainly be welcomed.

“A recent study entitled “The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy” should serve as a wake-up call on both sides of the ocean. It is authored by two respected academics – John Mearsheimer of the University of Chicago and Stephen Walt of Harvard University’s John F. Kennedy School of Government …

The tone of the report is harsh. It is jarring even for a self-critical Israeli. It lacks finesse and nuance when it looks at the alphabet soup of the world of American-Jewish organizations and at how the “Lobby” interacts with both the Israeli establishment and the wider right-wing echo chamber.

Yet the case built by Mearsheimer and Walt is a potent one: Identification of American with Israeli interests can be principally explained by the impact of the pro-Israel lobby in Washington in limiting the parameters of public debate, rather than by the fact that Israel is a vital strategic asset or has a uniquely compelling moral case for support (beyond, as the authors point out, the right to exist, which in any case is not in jeopardy).

The study is at its most devastating when it describes how the lobby “stifles debate by intimidation” and at its most current when it details how America’s interests (and ultimately Israel’s, too) are ill-served by the lobby’s agenda.

The signs that Israel and the pro-Israel lobby are not on the same page are mounting. For Israel, the withdrawal from Gaza and future evacuations in the West Bank are acts of strategic national importance; for the pro-Israel lobby, they are an occasion for confusion and foot-shuffling. For Israel, the election of Hamas raises complex and difficult challenges; for the lobby it is a public-relations home run and an occasion for legislative muscle-flexing.

The lobby’s influence, write Mearsheimer and Walt, “has discouraged Israel from seizing opportunities…that would have saved Israeli lives and shrunk the ranks of Palestinian extremists….

“Using American power to achieve a just peace between Israel and the Palestinians would help advance the broader goals of fighting extremism and promoting democracy in the Middle East.”

This is not about appeasement; it’s about smart, if difficult, policy choices that also address Israeli needs and security.

In short, if Israel is indeed entering a new era of national sanity and de-occupation, then the role of the pro-Israel lobby in U.S.-Israel relations will have to be rethought, and either reformed from within or challenged from without.”

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compulsory reading, media, web 2.0

Deutsche Journalisten und das Internet…

Bei Fabian Mohr (Notebook | Online Journalismus) findet sich eine überaus interessante Diskussion über das Verhältnis von – sich selbst offenbar als angehende Elitejournalisten wahrnehmenden – Studenten der Deutschen Journalistenschule zu Onlinemedien im allgemeinen und zu Blogs im speziellen. Eine Diskussion, die das Verhätnis von – deutschen – Journalisten und Verlagen zu Onlinemedien vielleicht besser charakterisiert, als so manche quantitative Erhebung. Sieh da – Blogs, eine Quelle für schwache, aber bedeutende Signale. Fabian Mohr berichtet aus erster Hand –

“Sie lesen eigentlich keine Blogs. Blogs finden sie Scheiße. Mit Blogs verdient man kein Geld. Im Internet ist 99 Prozent Dreck. …”

Mal sehen, wie lange diese Einstellung sich noch hält – denn einer von denen, bei denen die zukünftige schreibende Elite vermutlich gerne arbeiten würde (ja, auch ein Praktikum wäre toll…), Bernd Kundrun, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Gruner + Jahr AG, dürfte, zumindest offiziell, nicht mehr so begeistert sein von solchen Ansichten. Laut Branchenblog turi2.de sagte Kundrun am vergangenen Donnerstag der Werbe- und PR-Fachzeitschrift W&V

“Es wird notwendig sein, in den nächsten zehn Jahren das Berufsbild des Journalisten schrittweise neu zu definieren. Die bisherige Vorgehensweise ‘Ich besitze den Content und Du konsumierst ihn’ wird sich ändern in Richtung “Ich lenke, strukturiere und produziere, aber Du bist eingeladen, mir dabei behilflich zu sein.”

Auch wenn das eigentlich eine Debatte ist, die zumindest theoretisch schon mal Mitte der neunziger Jahre abgehandelt wurde (“daily me”, irgendwer?), erscheint die Aussage angesichts der erkennbaren Resistenz dysfunktionaler Rationalitätsmythen irgendwie revolutionär.

Glücklicherweise ist das Erkenntnisziel gar nicht so schwer erreichbar – wie Wolfgang Harrer mit seinem Kommentar beweist.

“Die Trennlinie ist also nicht Old Media vs. New Media oder gar Blogger vs. Journalist. Die Trennlinie ist Qualität vs. Schrott; und diese Trennlinie hat erstaunlich wenig damit zu tun, ob ein Autor für seine Arbeit bezahlt wird oder nicht.”

Und was fehlt noch an dieser Stelle? Ganz klar – der Link zum Qualitätsblog. Und der schücherne Hinweis auf die Tatsache, daß der Tausendkontaktpreis dort gerade mal ein sechzigstel dessen beträgt, was bei Spiegel Online International zu zahlen ist…

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