Die Zeit schreibt über den wieder mal vergeblichen Versuch der Großkoalitionäre, sich am gestrigen Abend im Rahmen eines Arbeitskreises auf eine Strukturreform des Gesundheitswesens zu verständigen. Naja, mal ehrlich, selbst wenn sie sich näher gekommen sind, angesichts der Bedeutung des Themas wird doch nun wirklich kein halbwegs intelligenter Politiker irgendwas von seiner Vehandlungsmasse ein dreiviertel Jahr vor dem zur Neuregelung angedachten Termin preisgeben… Nichts genaues wird man also noch lange nicht wissen.
Das ist auch ein Problem, das der DGB-Vorsitzende Michael Sommer zu haben scheint – oder, es bleibt zu hoffen – vorgibt. Im gleichen Artikel weist die Zeit online nämlich auch darauf hin, daß Herr Sommer am gestrigen Nachmittag bei einer Versammlung anläßlich des Tages der Arbeit die Bundesregierung davor gewarnt habe,
“bei der Gesundheitsreform den gesetzlich Versicherten neue Lasten aufzubürden. Es sei falsch, die Arbeitgeberbeiträge einzufrieren und allein die Versicherten die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen finanzieren zu lassen…”
Natürlich ist es irgendwie historisch zu begründen, daß der DBG-Vorsitzende am 1. Mai etwas in dieser Richtung öffentlich erklären muß. Aber darin liegt ebenso natürlich zumindest ein Teil des Problems, denn beide Argumentationsbestandteile sind schlicht falsch.
Zum einen ist es wohl unabdingbar, das deutsche Gesundheitssystem finanziell besser auszustatten. Und dabei geht es nicht so sehr um die Gehälter von Ärzten, auch wenn die in der Vergangenheit sicher des wesentlichen Teil der Kostendämpfungsmaßnahmen ohne Strukturreform getragen haben. Dabei geht es ein wenig mehr um den Abbau überzähliger Bettenkapazitäten in einem im wesentlichen öffentlichen Krankenhaussystem und die Frage, inwieweit die (nicht mehr nur in Deutschland) forschende Pharmaindustrie ihre Preise im Duopol mit den deutschen Krankenversicherungen durchsetzen kann. Letzteres ist eine nicht unbedeutende industriepolitische Frage und wohl der einzige Aspekt der Angelegenheit bei dem Sommers Argumentation aufgeht. Neben den Problemen, die sich aus der veränderten demographischen Entwicklung und der Situation auf dem Arbeitsmarktes ergeben, ist schließlich auch die Frage der zukünftigen Beteiligung der unzähligen Sonderrisikopools, ob nun öffentlich oder privat, am gesamtgesellschaftlichen Risikoausgleich bedeutend – und da wird es auch noch mal verfassungsrechtlich knifflig, denn das würde möglicherweise eine enorme Umverteilung von den bisher privat Versicherten (und von Beamten) zu den bisher gesetzlich Versicherten bedeuten.
Ansonsten gilt – letztlich haben die gesetzlich Versicherten genauso wie die privat Versicherten schon immer ihre gesamten Beiträge gezahlt, auch wenn der Arbeitgeber die Hälfte vorgelegt hat. Die so mit einer de-facto-Steuer belegten Arbeitskosten wurden natürlich auf die Kostenträger, die Produkte, umgelegt. Allerdings funktioniert das logischerweise nur, wenn die Preise für durch die Steuer verteuerten Produkte am Markt auch durchsetzbar sind, so daß die Unternehmen ihre Kapitalkosten verdienen können.
Die Chancen dafür stehen allerdings in einer immer internationaleren Handelsstruktur nicht so wirklich gut, was dann wiederum zu den bekannten Reduzierungen in der Beschäftigungsstruktur geführt hat. Und der vielleicht erhoffte Umverteilungseffekt ist in disem Modell abhängig von der Struktur des gesamtgesellschaftlichen Konsums – will sagen: eine gleichere gesellschaftliche Einkommensverteilung (und damit angenommen auch eine gleichere Konsumverteilung) reduziert den versicherungstechnischen “Außenbeitrag”.
Letztlich geht es bei der ganzen Gesundheitsreform nur um eines – nicht-Lohneinkommen zur Finanzierung des Sozialausgleichs heranzuziehen. Die einen wollen das über das Steuersystem machen (CDU) die anderen innerhalb des bisherigen, korporatistisch strukturierten Versicherungssystems. Letzteres sieht die SPD (wie mir vor einiger Zeit mal von Herrn Lauterbach anvertraut wurde) als Voraussetzung für ein Maß von Umverteilung wie sie es sich vorstellt.
Dabei ist das Argument der Haushaltsabhängigkeit von Sozialtransfers wirklich nicht von der Hand zu weisen. Aber dafür ein im wesentlichen für die Gesellschaft insgesamt schädliches System perpetuieren zu wollen, ist keine Lösung. Genauso wenig, wie Teile der CDU die Reform Als Möglichkeit zur Reduzierung von Spitzenlasten nutzen sollten.
Die Debatte wird, unterhalb des Radarschirms, spannend werden. Hoffen wir im Sinne der Sache, daß sich die Medien – schon aufgrund der zumeist fehlenden Sachkenntnis – aus der Diskussion möglichst lange heraushalten. Dann ist vielleicht ein sinnvoller Kompromiß möglich. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.